The Länd of the Future, Junger Kongress zum Thema Klimaschutz
Für und mit dem Netzwerk Junges Engagement durften wir die Veranstaltung planen und moderieren.
Structured Journalism will Nachrichten länger haltbar und wiederverwendbar machen. Das würde Journalisten und Lesern nutzen.
Newsredaktionen haben häufig das Problem, dass ihre Inhalte nur kurze Zeit für Nutzer interessant sind. Manchmal sind Inhalte nur einen Tag lang relevant, manchmal sogar nur wenige Minuten. Structured Journalism hat das Ziel, journalistische Inhalte durch eine bessere Strukturierung langfristig und nachhaltig wertvoller für Journalisten und Nutzer zu machen.
Wieso mich das Thema gerade so begeistert? Florian Steglich, Thom Nagy und Sebastian Horn haben auf der re:publica 2014 einen tollen Vortrag zu Structured Journalism gehalten. Ihre Präsentation gibt’s bei Google Drive zu sehen.
Structured Journalism ist ein Organisationsprinzip, das journalistische Inhalte in kleinstmögliche Daten zerlegt, um sie besser durchsuchen, analysieren und neu miteinander kombinieren zu können. Dieses Organisationsprinzip muss bei allen journalistischen Arbeitsschritten berücksichtigt werden, um zu funktionieren.
Der Journalist Reg Chua erklärt den Nutzen von Structured Journalism am Beispiel einer Ratssitzung. Die Formulierung „während der letzten Ratssitzung“ ist in einem aktuellen Artikel verständlich, aber wenige Monate später ist die Beschreibung bedeutungslos. Damit die Meldung auch Monate später sinnvoll genutzt und zum Beispiel automatisiert ausgelesen werden kann, müsste es heißen: „Eine Ratssitzung, die am 15. Juni 2013 in Frankfurt von Mustermann und Meyer gehalten wurde.“ So könnte zum Beispiel ein anderer Journalist sie im Archiv finden und direkt einordnen. Ich spinne Chuas Beispiel mal weiter, um es noch deutlicher zu machen: Wären alle Artikel zu Ratssitzungen im Zeitungsarchiv so strukturiert abgelegt, könnte ein Kollege im Jahr 2014 rückblickend alle Sitzungen aus den letzten fünf Jahren vergleichen: Haben die Sitzungen regelmäßig stattgefunden? Gab es Teilnehmer, die auffällig oft oder selten dabei waren? Möglicherweise kann der Journalist aus diesen Daten neue Erkenntnisse ziehen, die zum Beispiel seine Theorie beweisen, dass Politiker XY nur bei Entscheidungen zu Müllabfuhr und Wasseraufbereitung anwesend war – ein Indiz dafür, dass er als Strohmann der Lobby eingesetzt wird?
Die Suche und Analyse von journalistischen Inhalten wird vereinfacht. So können die Informationen (wie eben beschrieben) von anderen Journalisten, dem gleichen Journalisten zu einem späteren Zeitpunkt oder Nutzern als Grundlage für weitere Recherchen genutzt werden. Die Erstellung von neuen Inhalten aus solchem Material kann sogar automatisiert erfolgen. Ein Beispiel ist die automatische Auswertung von Politifact zu der Frage, wie oft Barack Obama lügt.
Niemand hat diese Geschichte geschrieben, aber sie existiert und sie schreibt sich selbst weiter.
Eine wichtige Grundlage für Structured Journalism: Rohdaten müssen strukturiert werden. Werden diese ordentlich benannt, in Datenbanken sortiert und zueinander in Beziehung gesetzt, können mit ihnen zum Beispiel automatisch Wetter-, Sport- und Wahlberichte erstellt werden.
Google experimentierte dazu gemeinsam mit New York Times und Washington Post in dem Projekt living stories mit der Vorstellung, journalistische Inhalte als Daten und Daten als journalistische Inhalte zu sehen. Die Website beschreibt die Idee so: „The basic idea of a living story is to combine all of the news coverage on a running story on a single page. Every day, instead of writing a new article on the story that sits at a new URL and contains some new developments and some old background, a living story resides at a permanent URL, that is updated regularly with new developments. This makes it easier for readers to get the latest updates on the stories that interest them, as well as to review deeper background materials that are relevant for a story’s context.“
Das Projekt wurde leider 2010 eingestellt. Der Code von living stories kann aber weiterhin verwendet werden. Nutzern von Cir.ca, The Verge und Politifact kommt dieser Ansatz sicherlich bekannt vor. Diese Dienste arbeiten ebenfalls mit automatisierten Updates ihrer Stories.
Es geht darum, die journalistische Story als Summe von Datenpunkten zu begreifen, als Zusammenstellung isolierbarer Elemente, die zu ganz verschiedenen Kontexten passen. Nimmt man Teile aus Artikel A, B und C, lassen sie sich später zu Artikel F zusammenfügen, ohne dass wir das beim Schreiben der Artikel A, B und C schon ahnen würden.
Man könnte diese Form des Journalismus auch als Häppchen-Journalismus bezeichnen. Journalistische Stücke werden in ihre Atome, also kleinstmögliche Einheiten, zerlegt. Jeder Absatz, jedes Thema und jedes Element (Foto, Video, Grafik) wird einzeln erfasst, in einer Datenbank abgelegt und verschlagwortet, sodass es jederzeit wiederverwendet und mit anderen Elementen aus anderen Artikeln in Bezug gesetzt werden kann.
Die Vorteile von Structured Journalism liegen auf der Hand: Daten werden durchsuchbarer, lassen sich frei zusammenstellen und neu kombinieren. Journalisten können Inhalte ihrer Kollegen leichter weiterverwenden, was Arbeit spart. Ein Beispiel von VOX ist das Format Cards Stacks. Hierbei handelt es sich um Erklärstücke, die sich in einzelne Themenblöcke zerlegen und jederzeit erweitern lassen.
Es können neue Geschichten entstehen, weil der Journalist auf strukturierte Daten zurückgreifen kann und so zum Beispiel Daten vergleichen oder in einen neuen Kontext setzen kann. So strukturierte journalistische Arbeit lässt sich auch viel einfacher für verschiedene Ausspielkanäle (zum Beispiel Print, Web oder App) aufbereiten. Um in Zukunft medienneutrale Redaktionssysteme sinnvoll nutzen zu können, sind die Methoden des Structured Journalism eigentlich Voraussetzung.
„Das Problem ist nicht die Technik, sondern kreative Journalisten zum strukturierten Arbeiten zu bringen.“ #structuredjournalism #rp14
— Birte Frey (@feuermaedchen) 7. Mai 2014
Ja. Leider. Gerade die Umstellung auf dieses Organisationssystem ist sehr aufwendig. Das liegt vor allem daran, dass Journalisten (meistens) kreative Menschen sind, die ihre Artikel als Gesamtkunstwerk betrachten und ihn nicht gerne als Sammlung von strukturierten Daten behandeln möchten. Außerdem kostet das strukturierte Aufarbeiten eines Artikels recht viel Zeit – eine Ressource, die in Newsredaktionen oft nicht vorhanden ist.
Vielleicht braucht es in Zukunft ja das Berufsbild eines „Data-Managers“ in Redaktionen, die mit #structuredjournalism punkten wollen. #rp14
— Martin Hoffmann (@martinhoffmann) 7. Mai 2014
Ich stelle mir auch die Auswahl eines passenden Redaktionssystems sehr schwierig vor. Die meisten CMS haben derzeit ja noch Probleme damit, Artikel für verschiedene Ausspielkanäle (Print, Online App) optimiert darzustellen. Die strukturierten und aufwendigen Eingabemöglichkeiten, die für Structured Journalism nötig sind, wären noch um ein vielfaches aufwendiger. Über Hinweise auf solche Redaktionssysteme bin ich dankbar.
Allen, die noch mehr über das Thema wissen wollen, sei die Link- und Leseliste aus der re:publica-Session zu Structured Journalism von Florian Steglich, Thom Nagy und Sebastian Horn empfohlen. Den Audio Stream zur Session gibt’s auf der Website der re:publica.
Über den Autor
Jan ist Datenwächter, Projekt-Jongleur und Finanzminister. Kaum jemand hat seinen Überblick oder sein Organisationstalent – und niemand seine Begeisterung für Zahlen. Als Mitgründer von quäntchen + glück ist er von Beginn an dabei und Impulsgeber für einige der quäntigsten Format-Einführungen: Urlaubsflatrate, quämp, Speedback oder Sparrings. Und ganz nebenbei hat er (mehr oder weniger freiwillig) den DSGVO-Hut auf. Danke, dass du immer ein offenes Ohr, klasse Kommunikationstipps und die trockensten Witze auf Lager hast.
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