VON Michelle Schulze ZU Täglich im Türmchen | 01.08.2012
SCHLAGWÖRTER

Worüber die Quäntchen so quatschen -

der Wochenrückblick

Diese Woche reden wir über das neue „Seen by“-Feature von Facebook-Gruppen, einstweilige Verfügungen von Kim Schmitz und das Aussterben des Gesprächs.

Facebook-Gruppen werden transparenter

Seit Mitte Juli testet Facebook eine neue Funktion in Gruppen aus: Unter Beiträgen erscheint jetzt das Feature „Gesehen von / Seen by“. Allem Anschein nach registriert diese Funktion, welches Gruppenmitglied einen Post wann gesehen hat – für alle anderen User sichtbar.

Wie diese Funktion genau arbeitet und beurteilt, wer was gesehen hat, ist nach wie vor unklar. Facebook hält sich einmal mehr sehr bedeckt, die Einführung war dem Unternehmen nur eine sehr kurze Mitteilung wert.

Das Feature, so nützlich es auch ist, setzt die Gruppenmitglieder unter Druck. Der Poster sieht dank des neuen Features: Die Nachricht ist angekommen. Und er erwartet eine Antwort. Die muss meist schnell kommen. Werden Facebook-Gruppen für interne Kommunikation verwendet, müssen die Kommunikatoren auf so etwas von nun an eingestellt sein – eine Ausrede gibt es nicht mehr, wenn der Post als gelesen gekennzeichnet ist.

Auf Anfragen, ob dieses Feature auch auf andere Bereiche wie zum Beispiel Facebook-Seiten übertragen werden soll, reagierte das Unternehmen bislang nebulös. Man äußere sich nicht zu Vorhaben, die in der Zukunft liegen, lautet das Statement. Sollte ein „Seen by“ jedoch auch bei Unternehmensseiten eingesetzt werden, müssen sich auch Social-Media-Manager auf mehr Zeitdruck bei Anfragen einstellen.

Neu ist solch ein offenes Surfen nicht – XING macht es bereits vor, wie Martin Weigert von netzwertig erklärt. Ob es sich allerdings für alle Angebote von Facebook eignet, ist fraglich, argumentiert Josh Constine auf TechCrunch.

Es bleibt zu hoffen, dass diese Offenheit nicht dazu führt, dass User die Gruppen in Zukunft nicht mehr nutzen. Denn es gilt nach wie vor die Ein-Prozent-Regel: Der Großteil der Internetnutzer will lieber anonym konsumieren statt offen Inhalte zu produzieren. Diesem Problem wird Facebook mit seiner strikten Ablehnung jeglicher Anonymität irgendwann begegnen müssen.

Muss das Web vergessen?

Kim Schmitz (alias Kim Dotcom alias Kimble) ist den meisten Webnutzern als Kopf hinter dem Dienst MegaUpload ein Begriff, spätestens seit er Anfang des Jahres in Neuseeland festgenommen und wegen mutmaßlicher Copyrightverletzungen nach US-amerikanischem Recht angeklagt wurde.

Offensichtlich hat sich Schmitz mittlerweile wieder aufgerappelt. Erst kürzlich kündigte er einen neuen Online-Streaming-Dienst an und stellt sich dabei als Verfechter des freien Internets dar.

Die Pressefreiheit meint er damit aber offensichtlich nicht: Dem deutschen IT-Journalisten Thorsten Kleinz (heise online, taz) wollte er per einstweiligen Verfügungen Äußerungen zu seinen zahlreichen Vorstrafen verbieten. Pikant: Schmitz klagte wegen drei Sätzen vor drei verschiedenen Landesgerichten – um die Prozesskosten für den Journalisten untragbar hoch zu schrauben, mutmaßt Kleinz.

Der IT-Journalist hatte bereits vor zehn Jahren den „Kimble-Report“ veröffentlicht, der sich kritisch mit dem DotCom-Unternehmer auseinander setzte. Dieses Angebot nahm Kleinz in Anbetracht der Klagen offline.

Abgesehen von dem Eingriff in die Pressefreiheit wird online auch heftig diskutiert, ob eine Berichterstattung über die Vorstrafen überhaupt sein muss. Unterstützer von Schmitz argumentieren, dass das Netz für eine Resozialisierung vergessen muss. Das tut es übrigens bereits, berichtet Kleinz in seinem Nachtrag zum Kimble-Report. Viele der Archivlinks zu Tätigkeiten Schmitz‘ sind demnach bereits verschwunden. Über das Internet Archive ist das meiste auch nicht mehr aufzufinden – offensichtlich wurden die entsprechenden Crawler ausgesperrt. Dabei wird klar: Während Normaluser unweigerlich ihre Spuren im Web hinterlassen, können Experten wie Schmitz schnell dafür sorgen, dass die eigenen digitalen Fußspuren verschwinden.

Abgesehen von dieser Tatsache sagt das Presserecht in puncto Vorstrafen deutlich: Schmitz bewegt sich durch seinen Lebensstil stark in der Öffentlichkeit und ist damit eine Person der Zeitgeschichte. Das öffentliche Interesse an seinen Vorstrafen überwiegt in diesem Fall seine Persönlichkeitsrechte.

Das zur Berichterstattung über Schmitz also auch seine kriminelle Vergangenheit gehört, mag seinen Anhängern nicht gefallen – verbieten lässt sich das aber nicht. Zum Glück.

Stirbt das Gespräch aus?

In einem ausführlichen Interview im „Süddeutsche Zeitung Magazin“ erklärt Kulturwissenschaftlerin Sherry Turkle, das die elektronische Kommunikation das klassische Gespräch aussterben lässt. Soziale Integrität, Wohlfühlen in der Gruppe – alles passé, weil wir elektronisch miteinander reden.

Schlimmer noch: Durch das Gefühl, immer jemanden erreichen zu können, verlernen wir, allein zu sein. Das Smartphone wird zum Draht zur Welt, der zu allem dazu gehört und nicht abgelegt werden kann.

So weit, so schlecht.

Denn trotz guter Ansätze strotzt der Beitrag leider nur so vor Widersprüchen. Ein Beispiel: Turkle bemängelt, dass Studenten im Vorlesungssaal eher eigenen Recherchen auf Smartphones und Laptop folgen würden als den Worten der Dozentin. Bei ihr gäbe es daher nur Stift und Papier. Auf Nachfrage des Interviewers räumt sie ein: Ja, natürlich kritzeln die Studenten dann halt Bildchen auf’s Papier, statt zuzuhören. Aber das sei doch etwas anderes, etwas Produktives. Ah ja.

Dass die Wissenschaftlerin in Studien beobachtet, dass Jugendliche ohne ihr Handy in Panik geraten, kann zudem völlig banale Gründe haben. Smartphones und Tablet-PCs sind mittlerweile Multifunktionstools, die Armbanduhr, Buch oder Wecker ersetzen. Wer damit aufgewachsen ist, dem fehlt es natürlich – so wie Turkle wahrscheinlich ihre Armbanduhr sehr fehlen würde. So etwas pathologisch zu nennen, ist weltfremd.

Recht hat die Kulturwissenschaftlerin allerdings in einem Punkt: Das Denken wird immer mehr der Technik angepasst – immer schneller soll es gehen. „Die Stille des Denkens fehlt […], wo eines zum anderen führt, sich das Ganze langsam aufbaut“, sagt sie. Und weiter: „Wenn die Technik verlangt, dass unsere Geschichten kurz und simpel sind, hinterlassen wir unseren Kindern eine Welt kurzer und simpler Geschichten. Wie sollen wir sie überzeugen, dass die Probleme der Welt komplexer sind als je zuvor?“

Michelle Schulze

Über den Autor

Michelle Schulze

„Wir retten ja alle keine Leben” ist ein Spruch, den wir uns im Team manchmal sagen, um Druck aus einer Aufgabe zu nehmen. Bei Michelle stimmt das nur teilweise, denn wenn sie nicht für uns in der queststadt Workshops vorbereitet, rettet sie als Krankenschwester auf der Neugeborenen-Intensivstation wirklich und in echt tatsächlich Leben.

Ihre Stresstoleranz ist hoch und auch knappste Timings entlocken ihr nur ein müdes Lächeln (was garantiert nicht an der Nachtschicht vom Abend davor liegt).

Michelle hat immer Lust auf Neues – und auch wenn ihr Job im Krankenhaus jeden Tag neue Herausforderungen bringt, freut sie sich, bei uns ein bisschen quäntchen-Luft zu schnuppern. Die queststadt ist ihr Metier und wir sind dankbar, sie in ihren ruhigen Händen zu wissen.

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