VON Jan-Kristian Jessen ZU Allgemein | 12.10.2011
SCHLAGWÖRTER

Wollen wir Facebook-Freunde sein?

Menschen, die soziale Netzwerke wie Facebook nicht nutzen, fragen mich oft: „Was bringt mir das?“ Am Beispiel Freundschaft möchte ich zeigen, dass es darauf viele Antworten gibt.

Eine Bekannte saß neulich auf einer Bank neben einem Spielplatz, auf dem Kinder spielten. Da fragte ein kleiner Junge seine Spielkameradin: „Wollen wir Freunde sein?“ – „Ja“, entgegnet sie. „Ich heiße Abdu! Und du?“ – „Kasha.“ Der Junge nahm sie an der Hand und sagte zu den anderen Kindern gewandt: „Das ist meine neue Freundin Kasha.“

So einfach geht das. Kinderleicht! Oder etwa nicht? Zumindest Erwachsenen fällt es oft nicht so leicht, neue Freunde zu finden oder Freundschaften zu halten.

Wo beginnt Freundschaft?

Heidrun Friese eröffnet ihr Kapitel „Freundschaft. Leerstellen und Spannungen eines Begriffs“ in dem Buch „Strong ties/ Weak ties – Freundschaftssemantik und Netzwerktheorie“ mit der Frage: „Gibt es einen Anfang von Freundschaft?“ (Friese, 2010: S.17) Ich denke, Freundschaft hat einen Anfang, auch wenn er häufig aus vielen Schritten besteht: Man trifft sich einmal zufällig, vielleicht auch ein zweites Mal, „addet“ sich auf Facebook und vielleicht verabredet man sich zusammen mit einer Gruppe von Freunden, die als Puffer dienen, falls man sich doch nichts zu sagen hat. So läuft das heute. Manchmal.

Immerhin 31 Prozent der Befragten gaben im Rahmen einer Bitkom-Studie an, dass sie mithilfe von sozialen Netzwerken neue Freunde kennengelernt haben und 73 Prozent, Freundschaften mithilfe sozialer Netzwerke zu pflegen (vgl. Bitkom-Studie, 2011: S.9).

Facebook-Likes streicheln die Seele

Facebook ist zu einem weiteren Glied der Kette geworden, aus der Freundschaft geknüpft werden kann. Sicher entstehen Freundschaften auch heute ohne Facebook, aber soziale Netzwerken können ein Ort sein, an dem Freundschaften beginnen und wachsen. Hier teilen Menschen Informationen mit anderen, die sonst nie von diesen erfahren hätten. Wer schleppt schon seine Urlaubsbilder mit sich rum, um sie allen zu zeigen? Eben. Vielleicht schreien sie jetzt auf: „Aber Urlaubsfotos gehen doch auch niemanden etwas an! Die zeige ich höchstens im Familienkreis!“ Ich behaupte, der Tausch lautet hier: Meine privaten Informationen gegen deine Likes und Kommentare. Denn Likes tun gut. Sie steigern das Selbstbewusstsein. Und je mehr Sie von sich zeigen, desto mehr öffnen Sie sich anderen Menschen – ein Grundbaustein von Freundschaft.

200 wahre Freunde?

Doch ist das wirklich Freundschaft, wenn ich 200 Kontakten meinen Gemütszustand mitteile? Die Zahl ist übrigens nicht aus der Luft gegriffen: Laut der Bitkom-Studie haben 29 Prozent (größter Anteil) der 14- bis 19-Jährigen 201 oder mehr Kontakte in sozialen Netzwerken. Erwachsene haben durchschnittlich „nur“ 133 Kontakte. Johanna Schmeller titelte im August 2010 einen Artikel in der Zeitung Welt mit: „Sieben von 100 Facebook-Freunden sind wahre Freunde.“ Doch was ist mit den restlichen 93 Kontakten? Wenn sie keine „wahren Freunde“ sind, was dann? Online-Freunde? Schmeller berichtet von Forschungen der Universität Harvard. Das Ergebnis: Soziale Netzwerke sind nützlich. Wer sich dort engagiert, profitiert vom Netzwerk. Der Gewinn kann Geld, Anerkennung oder Information sein. Kontakte die wir in sozialen Netzwerken sammeln, können also verschiedenes sein: vom wahren Freund, bis zum Jobvermittler.

Wa(h)re Freunde von Thomas Wanhoff

Deutsche Befindlichkeiten

Thomas Wanhoff verweist in seinem Buch „Wa(h)re Freunde: Wie sich unsere Beziehungen in sozialen Online-Netzwerken verändern“ auf folgenden Unterschied „Der englische Begriff friend hat im Deutschen zwei Bedeutungen: Er meint zum einen den (flüchtigen) Bekannten, zum anderen auch den Freund in dem Sinne, wie wir ihn verstehen“ (Wanhoff, 2011: S.100).

Guter Freund oder nur ein Bekannter? Bei Facebook können die Nutzer ihre Kontakte jetzt sortieren.

Der englische Begriff „friend“ wird mit dem Wort „Freund“ also nicht immer zufriedenstellend übersetzt. Im Fall Facebook war es gerade für deutsche Nutzer überfällig, Kategorien für Kontakte zu finden – ähnlich wie es der Konkurrent Google+ mit seinen Kreisen anbietet. Kürzlich hat Facebook unter anderem die Unterscheidung „Close friends“ und „Acquaintances“ eingeführt. So werden vielleicht deutsche Befindlichkeiten zum Thema „Facebook-Freunde” und Privatsphäre aus dem Weg geräumt.

Und was bringt mir das?

Facebook kann auch ein Ort für Plaudereien, Gerüchte und Smalltalk sein – ein kurzes Update über das aktuelle Wohlbefinden und unverfängliche Neuigkeiten. „Tatsächlich sprechen sehr viele Menschen ja schon von “Facebook-Freunden” – ein Synonym für einen weniger engen Kontakt”, beschreibt Thomas Knüwer das Phänomen schon im Juli 2010. In der Wissenschaft werden diese losen Kontakte zu Bekannten als „Weak ties“ bezeichnet. Diese können häufig nützlich sein: Zum Beispiel lohnt es sich, die „Weak ties“ um Hilfe zu bitten, wenn ein Job oder eine Wohnung gesucht ist. Die Theorie: Das Netzwerk enger Freunde ist unserem eigenen sehr ähnlich, deshalb haben sie auch ähnliche Informationsquellen, wie wir selbst. Lose Kontakte hingegen bringen neue Informationen ins Netzwerk.

Facebook kann sich deshalb auch sinnvoll sein, um beruflichen Kontakte zu pflegen und Jobs zu bekommen. Gerade Menschen, die sich zu einem Thema oder in ihrer Branche positionieren wollen, sollten aber sehr bewusst entscheiden, was sie über Facebook veröffentlichen. Ob diese Statements dann privater Natur sein dürfen oder gar sollten, ist ein anderes Thema.

Facebook ist, was Sie draus machen

Soziale Netzwerke wie Facebook erweitern die Realität um eine Ebene, einen Begegnungsort mit – zugegeben – ungewohnten Rahmenbedingungen für Privatpersonen. Meiner Meinung nach ist es wichtig, immer wieder inne zu halten, zu reflektieren und sich zu fragen: Ist es eigentlich normal, gleichzeitig zu 200 Leuten zu sprechen? Ganz ehrlich: Wann haben Sie das letzte Mal jemanden gesehen, der mit einem Megafon 200 Menschen von seinem Mittagessen berichtet? Bei Facebook ist das fast schon normal. Ist es deswegen auch sinnvoll? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Schwarzes Brett und Zeitvertreib, Kontakt- und Jobbörse, Poesiealbum und Nachrichtenplattform – soziale Netzwerke bergen einige Möglichkeiten. Entscheiden Sie selbst, wofür Sie sie nutzen wollen.

Jan-Kristian Jessen

Über den Autor

Jan-Kristian Jessen

Jan ist Datenwächter, Projekt-Jongleur und Finanzminister. Kaum jemand hat seinen Überblick oder sein Organisationstalent – und niemand seine Begeisterung für Zahlen. Als Mitgründer von quäntchen + glück ist er von Beginn an dabei und Impulsgeber für einige der quäntigsten Format-Einführungen: Urlaubsflatrate, quämp, Speedback oder Sparrings. Und ganz nebenbei hat er (mehr oder weniger freiwillig) den DSGVO-Hut auf. Danke, dass du immer ein offenes Ohr, klasse Kommunikationstipps und die trockensten Witze auf Lager hast.

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