VON Michelle Schulze ZU Allgemein | 21.12.2011
SCHLAGWÖRTER

Verbrennt die Schulbücher

Lernen Schüler mithilfe des Internets selbstständig, bedeutet dies nicht nur das Aus für Schulbücher, sondern möglicherweise auch für Verlage und allwissende Lehrer.

Denn wenn alle Schüler mit Laptops ausgestattet sind (Teil I), können Lerninhalte digitalisiert werden, heißt es im Bericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“. Warum auch Laptop und Bücher mitschleppen?

Lerninhalte zu digitalisieren, würde Kinderrücken und Bankkonten der Eltern schonen, die schon bei der Anschaffung der Computer viel Geld auf den Tisch legen müssen. Wichtig finde ich, dass sich die Schulbuchverlage dieser Herausforderung rechtzeitig und mithilfe von Experten und Lehrern stellen, denn künftig müssen zwar keine Druckfahnen mehr geprüft werden, es werden aber neue Fähigkeiten nötig: Die Schulbuchverlage müssen Lernplattformen anbieten, bei denen Themen – ähnlich wie bei einem Dossier – mit Texten, Videos, Slideshows erläutert werden.

Diese müssen Schülern und Lehrern bei ihren Recherchen und Studien als Hafen dienen, zu denen sie immer wieder zurückkommen, um neue Recherche-Ansätze auszuprobieren, Wissen zu sammeln und sich auszutauschen.

Bieten die Verlage so etwas nicht an, werden andere Anbieter den Markt übernehmen.

Doch neue Computer und Inhalte sind nur das eine. Zu Recht wird in dem Bericht ebenso gefordert, dass sich die gesamte Lernsituation ändern muss:

„Digitale Technik in Schulen braucht ein neues Lehr- und Lernverständnis, das den neuen Möglichkeiten hinsichtlich vernetzten, kollaborativen Lernens und individueller Wissensaneignung gerecht wird. Internet und digitale Medien haben den Informationszugang und die Kommunikation über Inhalte und das Lernen unumkehrbar und grundlegend verändert“ (S.34).

In ihrem Bericht schlägt die Kommission zudem vor, „virales Marketing“ einzusetzen, um Medienkompetenz zu vermitteln (S.21). Ich denke, gemeint sind hier eher die Methoden des viralen Marketings, als virales Marketing an sich.

„Die Besonderheit des viralen Marketings ist, dass hier nicht vordergründig mit Maßnahmen der Vermittlung von Medienkompetenz geworben wird. So können beispielsweise im Zusammenhang mit Informationen zum Datenschutz in sozialen Netzwerken interaktive Grafiken, Spiele oder Wettbewerbe zur Beteiligung der Nutzer eingesetzt werden. Diese Maßnahmen sind geeignet, ein Nachdenken über das eigene Verhalten im Internet anzuregen, das dann auch auf andere Anwendungsbereiche übergreift.“ (S.21).

Ich finde die Idee gut, neue Wege auszuprobieren, um Jugendlichen Medienkompetenz zu vermitteln. Als Beispiel wird die Webseite www.watchyourweb.de genannt (S.22). Sie war Teil einer Kampagne, die Jugendliche zum Nachdenken über ihre Privatsphäre-Einstellungen in sozialen Netzwerken anregen sollte.

 

 

 

 

 

 

Lehrer werden zu Navigatoren

Medienpädagogik muss für Lehrer und Hochschullehrer ein verpflichtender Teil im Studium werden. Es reicht nicht, die Schüler mit der richtigen Technik auszustatten. Die Lehrer müssen mit ihr umgehen können und verstanden haben, welche Möglichkeiten sich daraus ergeben, um Schüler und Studenten anleiten zu können (vgl. S. 22).

Ich formuliere es noch deutlicher: Die Lehrer der Zukunft müssen sich darauf einlassen, dass die Möglichkeiten, die das Internet bietet, ihre Stellung als allwissender, ausschließlich vermittelnder Lehrer unwiederbringlich zunichte gemacht hat.

Werdende Lehrer müssen schon heute in ihrer Ausbildung erfahren, dass ihr Beruf künftig beinhaltet, sich auch von ihren Schülern Dinge erklären zu lassen und Wissensgebiete gemeinsam zu erschließen.

Sie müssen lernen, ohne Lösungswege im Lehrbuch zurechtzukommen und sich auf Tools einlassen, mithilfe derer Schüler und Lehrer gleichberechtigt zusammenarbeiten können. Sie werden künftig nicht Wissen, sondern Orientierung während der „Wissensbeschaffung“ bieten müssen. In dem Bericht heißt es dazu:

„Der Sachverständige Jürgen Ertelt wies in der Expertenanhörung der Enquete-Kommission zum Thema Medienkompetenz am 13. Dezember 2010 zudem darauf hin, dass Lehrende aufgefordert sind, ihr bisheriges Bild von Lehre zugunsten von gegenseitigem Lernen aufzugeben. Ihre neue Rolle ist die eines Navigators und Katalysators. Gerade Jugendliche sind als Experten anzuerkennen und für so genanntes Peer-to-Peer-Teaching zu gewinnen“ (S.32).

Vater unser vorm Fernseher

Verbote, wie zeitliche Begrenzung der Internetnutzung, helfen nicht mehr. Sie sind technisch einfach nicht mehr durchzusetzen – und sind meiner Meinung nach nicht mehr sinnvoll. Denn warum sollte man einem Jugendlichen verwehren das Internet zu benutzen, wenn er mithilfe einer App die Abfahrtszeit des nächsten Busses abfragt, kurz etwas nachschlagen oder seine Nachrichten lesen will?

Internet ist nicht nur passives Berieselungsinstrument, wie der Fernseher, der die Menschen von der Realität entfremdet und Kinder vom Spielen abhält. Interessant ist in dem Zusammenhang auch die Parallelnutzung der Medien. Denn das Internet hat das Fernsehen bisher nicht abgelöst. Laut der KIM-Studie 2010 bleibt es noch das „zentrale Medium für Kinder“. „Drei Viertel der Sechs- bis 13-Jährigen sehen jeden oder fast jeden Tag fern.“ Durchschnittlich schauen sie dabei 98 Minuten am Tag. Auch bei den Jugendlichen sieht das nicht anders aus. Die JIM-Studie 2011 zeigt, auch für sie ist Fernsehen nach wie vor wichtig.

Den Unterschied zwischen Fernsehen und Internet müssen viele Eltern erst lernen, da sie mit den passiven Medien Fernseher und Radio aufgewachsen sind. Sie setzen Computernnutzung häufig mit Fernsehnutzung gleich und verstehen die Möglichkeiten nicht, die das Internet bietet. Gleichwohl ahnen sie aber schon, dass es für ihre Kinder von Vorteil wäre mit dem Computer umgehen zu können. In der Zusammenfassung der KIM-Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest heißt es dazu:

„Die Eltern stehen dem Internet häufig mit zweigeteilter Meinung entgegen: 59 Prozent stimmen der Aussage zu, dass das Internet Kinder zu „Stubenhockern“ macht, dennoch finden 60 Prozent „Kinder sollten so früh wie möglich an Computer gewöhnt werden“. Über drei Viertel der Haupterzieher meinen, dass Kindern der Umgang mit Computer und Internet in der Schule vermittelt werden sollte.“

Der Wunsch der Eltern, die Kinder sollen den Umgang mit PC und Internet bitteschön in der Schule erlernen (78 Prozent) befreit die Eltern aber nicht von ihren Aufgaben. Denn Familie ist der Ort, wo die Mediennutzung der Kindern am meisten geprägt wird. Eltern sind Vorbilder. Wenn die Eltern am liebsten Fernsehen, geht es ihren Kindern auch so. Wenn die Eltern lieber im Internet surfen, dann haben auch die Kinder eine hohe Bindung ans Internet (Kim-Studie, 2010: S. 60). Für Eltern ist übrigens das Fernsehen das wichtigste Medium, gefolgt vom Internet. Dabei deutlich zu erkennen: Für Eltern mit Hauptschulabschluss ist Fernsehen sehr viel wichtiger als für Eltern mit Abitur. Für diese Eltern mit höherem Bildungshintergrund ist das Internet dafür um so wichtiger (KIM-Studie: vgl. S. 59).

Im Umkehrschluss heißt das auch: Um so niedriger der Schulabschluss der Eltern, um so geringer die Chance der Kinder zu lernen, wie man mit dem Internet umgeht. In Zahlen: Eltern mit niedrigerem Schulabschluss haben laut der KIM-Studie eine geringere Bindung ans Internet, als Eltern mit hohem Bildungsabschluss (Hauptschule: 10 Prozent, Abitur/Studium: 23 Prozent). Und sie kennen sich nicht so gut damit aus. 67 Prozent der Eltern mit Hauptschulabschluss sind – nach eigener Aussage – gut oder sehr gut informiert, bei den Eltern mit Abitur und Studium sind das mit 86 Prozent wesentlich mehr (vgl. S.64).

Für Kindertagesstätten und Schulen bedeutet das, dass sie versuchen müssen Eltern in die Medienbildung ihrer Kinder miteinzubeziehen, um eine Knowledge Gap zu verhindern (vgl. S.24). Denn alle Kinder sollen eine Chance auf Medienkompetenz bekommen, egal welchen Schulabschluss ihre Eltern haben. Und der Weg dorthin führt auch über die Eltern. Diese Ansicht wird auch durch die Ergebnisse der KIM-Studie gestützt:

„Das Elternhaus ist die wichtigste Sozialisationsinstanz auch beim Thema Medien. Die Art und Weise wie Eltern, Geschwister oder Großeltern das Medienbukett nutzen, schlägt sich direkt oder indirekt auf die Medienpräferenzen der jüngeren Kinder nieder“ (Kim-Studie: S. 60).

Eltern stehen also vor der Herausforderung, sich dem Internet anzunehmen, um ihren Kindern den richtigen Umgang vorzuleben. Dabei müssen sie akzeptieren, dass Internet mehr bietet als sie kennen und nutzen oder vermuten und fürchten.

Sie sollten deshalb Risiken der Internetnutzung kennenlernen, aber „insbesondere auch die unzähligen Chancen ihrer Kinder in der digitalen Gesellschaft erkennen“ (Medienkompetenz-Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“, 2011: S.25).

Auch müssen sie lernen, dass Medienkompetenz nichts mit Verboten zu tun hat. Das wird insbesondere bei der steigenden mobilen Internetnutzung (Smartphone) deutlich. Die ständige Verfügbarkeit von Internet verändert unsere Nutzungsgewohnheiten und hebelt bisher geltende Regeln aus: „Damit werden kommunikative Angebote ständig verfügbar und aus traditionellen sozialen Nutzungskontexten herausgelöst.“ (S. 8)

Auch die Art und Weise der Internetnutzung von Kindern und Eltern ist unterschiedlich, folgender Tweet von Kai Nehm bringt das gut auf den Punkt:

Wir halten also fest: Deutschlands Schulen stehen vor einem großen Umbruch ­– falls die Ideen der Enquete-Kommission wirklich werden. Doch in ihrem Bericht geht die Kommission noch weiter: nicht nur Schüler, auch Senioren, Arbeitslose und eigentlich alle Menschen in Deutschland sollen fit fürs Netz werden. Die Hauptprobleme: eine unübersichtliche Anzahl verschiedenster Förderprojekte und eine Vernachlässigung der praxisnahen Forschung.

Teil I: Medienkompetenz durch Laptops?
Teil III: Medienkompetenz für alle!

Michelle Schulze

Über den Autor

Michelle Schulze

„Wir retten ja alle keine Leben” ist ein Spruch, den wir uns im Team manchmal sagen, um Druck aus einer Aufgabe zu nehmen. Bei Michelle stimmt das nur teilweise, denn wenn sie nicht für uns in der queststadt Workshops vorbereitet, rettet sie als Krankenschwester auf der Neugeborenen-Intensivstation wirklich und in echt tatsächlich Leben.

Ihre Stresstoleranz ist hoch und auch knappste Timings entlocken ihr nur ein müdes Lächeln (was garantiert nicht an der Nachtschicht vom Abend davor liegt).

Michelle hat immer Lust auf Neues – und auch wenn ihr Job im Krankenhaus jeden Tag neue Herausforderungen bringt, freut sie sich, bei uns ein bisschen quäntchen-Luft zu schnuppern. Die queststadt ist ihr Metier und wir sind dankbar, sie in ihren ruhigen Händen zu wissen.

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