VON Kersten A. Riechers ZU Aktuelles | 20.03.2018
SCHLAGWÖRTER

Bessere Projekte

durch Sparrings mit Externen

„Agenturen sind geschlossene Systeme”, sagt Prof. Dr. Thomas Pleil. Nur: Wir leben in einer Zeit, in der wir vernetzte Systeme brauchen. Seit Ende 2016 kommt Thomas deshalb regelmäßig zu quäntchen + glück, um den externen Blick auf Konzepte und Probleme zu werfen – zum Sparring.

Eine Stunde pro Woche, in der wir gemeinsam den Blick über unseren Tellerrand wagen, Ideen-Ping-Pong spielen und von den Erfahrungen und unabhängigen Einschätzungen profitieren. Seither haben wir nicht nur das Format weiter entwickelt, sondern auch unseren langjährigen Weggefährten Jacob Chromy (Mitgründer des KPKP-Podcasts) fest ins zweiwöchentliche Sparring eingeplant. Im Interview mit den beiden wollten wir eigentlich über ihre Erfahrungen sprechen. Doch stattdessen haben wir das Format direkt weiterentwickelt – ein Sparring zum Sparring!

Kersten A. Riechers: Was machen wir hier eigentlich?

Jacob Chromy: Wir machen strategisches Ping-Pong. Und eins plus eins gleich drei, hoffentlich. Meine Erfahrung bei den Sparrings ist, dass es in Konzeptionsphasen oder bei strategischen Fragen oftmals hilft, die Gedanken ganz einfach auszusprechen. Man greift sie auf, es geht hin und her und dann entsteht ein neuer Gedanke, den keiner von beiden alleine hatte. Ich bin überzeugt, dass strategische Arbeit wertiger werden kann, wenn zwei Köpfe oder mehr dran sitzen.

Prof. Dr. Thomas Pleil: Das sehe ich genau so. Unsere Rolle ist, die von außen Kommenden zu sein, die auch dumme Fragen stellen. Weil man die Vorgespräche nicht kennt, die Vorüberlegungen nicht kennt. Dadurch kommt in dieses Ping Pong eine andere Qualität rein. Es ist eine heterogene Gruppe, die diskutiert. Manchmal habt ihr schon eine gerade Linie für euch im Kopf und skizziert die im Sparring. Im Gespräch kommen wir noch auf andere Aspekte.

Das geschlossene System durchbrechen

Jacob: Das ist einer der großen Mehrwerte des Sparrings. Das kannst du dir von innen nicht ermöglichen. Du kannst natürlich intern Sparrings machen mit deinen Kollegen. Trotzdem sind sie Teil des Systems und bekommen, wenn auch nur am Rande, Informationen und Stimmungen zu Projekten mit. Von außen haben wir einen unverstellten Blick.

Thomas: Das finde ich ein sehr gutes Bild, Jacob. Die klassische Agentur ist in sich abgeschlossen und ein System. Sorry für die akademische Formulierung, aber wir leben einfach nicht mehr in der Zeit, in der wir abgeschlossene Systeme brauchen. Wir leben in einer vernetzten Zeit.

Kersten: Laufen wir nicht Gefahr, dass ihr mit der Zeit immer mehr Teil des Systems werdet?

Jacob: Das kann passieren. Allerdings ist unser Sparring alle zwei Wochen für eine Stunde. Da muss das System schon sehr stark ziehen. Über einen langen Zeitraum von fünf Jahren tritt dieser Effekt vermutlich auf.

Kersten: Wir haben begonnen mit Ad-hoc-Sparrings. Mittlerweile bekommt ihr vorab Briefings von uns. Da entsteht sicherlich die Linie, von der Thomas gerade sprach. Was ist denn besser: mit oder ohne Briefing?

Thomas: Ich finde ein Briefing deshalb ganz gut, weil wir nicht auf Knopfdruck kreativ sind. Ich bin jemand, der gut damit arbeiten kann, wenn ein Thema ein paar Tage im Hinterkopf mitarbeitet. Wenn ich unterwegs mit dem Hund draußen bin und über das Briefing nachdenke, entstehen oft neue Fragen.

Jacob: Ich halte das Briefing für entscheidend. Es sind fünfzig Prozent des Formats, denn es zwingt die Person, die das Sparring einberuft, Dinge komprimiert auf den Punkt zu bringen. Ich hatte auch schon Sparrings mit euch, für die das Briefing sehr spät kam. Oder kaum. Das kann ich absolut nicht empfehlen. Eine Woche Vorlauf braucht es nicht, aber freitags ist schon gut, wenn wir uns montags zum Sparring treffen.

Kersten: Wikipedia sagt: „Die Absicht des Sparrings ist, die Fähigkeiten der Teilnehmer zu verbessern, während im Wettkampf ein Sieger ermittelt werden soll.“ Werdet ihr besser durch unsere Probleme?

Jacob: Oh ja, definitiv! Ich notiere mir immer, was das Thema unserer Sparrings ist. Mich hat neulich unser gemeinsamer Freund Michael Schumacher gefragt: Wie läuft das eigentlich mit diesen Sparrings bei quäntchen + glück? Und dann habe ich auf meine Liste gesehen und konnte ihm erzählen: Hier war es eine strategische Frage, da ging es um ein Angebot, da war es ein inhaltliches Brainwriting. Und in dieser Gesamtheit habe ich gesehen, dass ich einiges aus den Sparrings ziehe.

Sparring mit quäntchen + glück bereichert die Lehre an der Hochschule Darmstadt

Thomas: Ich profitiere auch ganz klar davon. Für mich ist die Verwendung allerdings eine andere: Ich kann viel Atmosphärisches aus den Sparrings in den Unterricht einfließen lassen. Wenn es zum Beispiel um die Frage geht, wie die Menschen in Unternehmen mit der Digitalisierung umgehen. Dann werde ich natürlich nicht die Themen unserer Sparrings herausposaunen. Das geht niemanden etwas an, was wir hier besprechen. Aber wie man mit den Menschen umgehen kann, welche Ansätze es gibt, worauf man achten muss – das sind Dinge, die ich an die Studierenden weitergeben kann.

Kersten: So ist das Sparring ja geboren, dass auch du etwas davon in der Lehre hast.

Thomas: Genau. Es war für mich eine wichtige Motivation, dass ich schon so lange aus der Praxis raus bin. Seit 2004 bin ich an der Hochschule Darmstadt. Vorher war ich über zehn Jahre in der Praxis. Es ist für mich enorm wohltuend, durch die Sparrings eine ganz andere Perspektive auf praktische Aufgaben und Projekte zu bekommen – nämlich die Agentursicht.

Kersten: Wie waren die Reaktionen, als du diese Nebentätigkeit angemeldet hast?

Thomas: Es geht hier um Wissensaustausch. Damit bin ich offene Türen eingerannt. Wir sind eine Hochschule für angewandte Wissenschaften, Fachhochschule hieß das früher mal. Ich habe das mit einem Mitglied des Präsidiums intensiver diskutiert und der fand das ganz klasse und hat mir bestätigt, dass solche Kooperationen die Qualität der Lehre sichern.

Kersten: Deine Tätigkeit hier läuft über ein Steinbeis-Institut.

Thomas: Das Sparring kam zuerst. Im Sommer 2017 habe ich mit meiner Kollegin Pia Helferich das Steinbeis Transferzentrum flux gegründet. Unsere Themen sind lebenslanges Lernen, Organisationsentwicklung und Kommunikation, also alles was mit Digitalisierung zusammenhängt.

Das Sparring könnte Ängste auslösen

Kersten: Wäre das Sparring als Format für jegliche Unternehmen da draußen geeignet?

Jacob: Ich würde etwas voranstellen: So neu und innovativ wie das Sparring in unserem Kontext klingen mag, ist es an anderen Stellen ja gängiger: Pair Programming – einer programmiert, der andere schaut über die Schulter – gibt es schon seit vielen Jahren. Es gibt die design critique, ein Format, in dem sich Gestalter strukturiert Feedback vom Team holen. (Anmerkung Kersten: Wir sind auf der Suche nach einem weiteren Format, in dem sich Designer*Innen untereinander kritisieren dürfen) Ich glaube, es ist an der Zeit, auch in der Strategie Formate zu entwickeln, wo ein Pingpong möglich ist. Gerade weil die Strategie soweit vorne im Prozess angesiedelt ist, ist es umso wichtiger und umso komischer, dass es jetzt erst kommt.

Thomas: Ich würde nicht gewisse Unternehmenstypen ausschließen. Es hängt von den Beteiligten ab. Es kann sein, dass nicht jedes Unternehmen die Kultur dazu hat und das Format des Sparrings Ängste auslöst.

Kersten: Stimmt, das Sparring ist nämlich keine typische Beratungssituation. Die gibt es natürlich zu Hauf da draußen: Unternehmen holen sich Beraterinnen und Berater rein und die erklären dann bitte, wie es zu laufen hat.

Jacob: Es ist auch kein Coaching. Ich stelle nicht nur reflektierende Fragen. Das wäre natürlich am schönsten. Ich lehne mich zurück und frage dich: Was denkst du denn, wie deine Mutter das Problem lösen würde. Ein bisschen zirkulär fragen und ihr macht die Arbeit. Nein, so ist es nicht. Es ist auch kein Abliefern. Ich empfinde nicht den Druck, dass ich hier herkomme und muss alle Antworten kennen. Es ist genau die Mischung zwischen Beratung und Coaching. Nein, man holt sich temporäre Mitstreiter. Zu einer bestimmten Aufgabe. Die man gemeinsam löst.

Thomas: Ich habe nie das Gefühl, hier reinzugehen und einfach nur Wissen auszuschütten. In manchen Situationen weiß ich gar nicht viel mehr. Das funktioniert in beide Richtungen. Wir fordern uns gegenseitig geistig heraus. Durch Kreativität und Reibung finden wir einen kleinen Pfad, den wir danach aber wieder verlassen.

Befreit von jeglicher interner Unternehmenspolitik

Jacob: Das ist eine interessante Komponente für größere Unternehmen, dass wir den Pfad danach wieder verlassen. Das bedeutet: Es gibt keine Politik. Als Sparringspartner komme ich rein, tausche mich aus, gebe mein Feedback – ich habe aber keine Aktien in dem Projekt oder dem Produkt.

Kersten: Und keine Hierarchie.

Jacob: Genau. Ich muss mir keine Sorgen machen, dass mein Input anderweitig durch die Organisation beurteilt wird. Selbst wenn ich zu einem späteren Zeitpunkt zum selben Projekt nochmal ein Sparring habe, sage ich nicht: Ich hatte doch vor vier Wochen so eine tolle Idee, wieso ist die nicht umgesetzt?

Kersten: Thomas, Du hast mit gewissen Projekten bei uns tatsächlich schon eine Historie. Wie ist das für dich im Gegensatz zu den „Eintagsfliegen“?

Thomas: Ich finde die Mischung total spannend. Ein Projekt, über das wir ganz zu Anfang gesprochen haben, ist eins, das jetzt gerade so richtig fliegt. Das finde ich spannend zu sehen, was aus unseren Annahmen von damals geworden ist.

Kersten: Das klang bisher alles sehr positiv für uns. Was machen wir denn nicht so gut?

Jacob: Die späten Briefings haben wir ja schon angesprochen. Außerdem glaube ich, dass unsere mündlich geführten Sparrings noch nicht effizient genug sind. Allein der Vergleich von Brainstorming und Brainwriting zeigt schon, wie unterschiedlich der Output innerhalb einer Stunde sein kann. Den Sparrings würde mehr Methodik guttun.

Thomas: Manchen Themen haben es verdient, wenn wir sie länger als eine Stunde behandeln. Es gibt aber auch Fragestellungen, da bin ich nach einer Stunde leer. Viel länger ist da in der Intensität gar nicht möglich.

Kersten: Ich frage mich, ob wir nicht noch viel mehr Sparrings machen sollten. Eine Stunde pro Woche ist nicht besonders viel.

Jacob: Ich bin ein Freund des Institutionalisierens. Das kriegt ihr ja schon gut hin. Viel zu viele Organisationen machen Retros, bestimme Feedbackformate eher spontan oder gar aus der Not heraus. Wenn ich Dinge nicht institutionalisiere, bekomme ich nicht die nötige Kultur. Aber sicher gibt es nicht das eine Sparring für alle. Vielleicht braucht es mal eins im Gehen über die Rosenhöhe. Die großen Denker haben ihre Probleme schließlich auch im Spazieren gelöst.

Gute Leute für unseren Sparrings-Pool gesucht

Kersten: Wir wollen auf jeden Fall den Sparrings-Pool ausweiten. Wer täte uns gut?

Jacob: Tellerrandkenner und –überblicker, aber auch Spezialisten. Erfahrung und Breite scheinen mir wichtig, wir hatten aber auch Sessions, in denen es ganz klar auf ein spitzes Wissen in der Expertise ankam. Ich frage mich dabei: Funktioniert das eigentlich auch als Remote-Sparring?

Thomas: Da haben wir schon verschiedene Konstellationen durchgespielt. Es waren einzelne von quäntchen + glück remote, aber auch ich. Wenn das Briefing gut ist, funktioniert remote schon mal besser. Wenn man sich schon ein bisschen kennt, kann man das gut machen.

Jacob: Dann wissen wir jetzt: Videokonferenzen mit Personen, die man kennt, funktionieren. Dann sollten wir als nächstes testen, wie Remote-Sparrings mit Personen funktionieren, die wir noch nicht so gut kennen.

Kersten: Abgemacht. Das probieren wir. Ich danke euch beiden für dieses Gespräch. Es war gleichzeitig Retrospektive und…

Jacob: …ein Sparring zum Sparring!

Kersten A. Riechers

Über den Autor

Kersten A. Riechers

Kersten A. Riechers ist richtig gerne quäntchen. Ein Wort, das er sich beim co-Gründen von quäntchen + glück im Jahr 2010 absolut nicht hätte ausdenken können. Sondern das als Selbstbezeichnung im und durch das Team entstanden ist. Mit diesen quäntchen arbeitet Kersten in Workshops und workshoppisierten Events und Prozessen. Am liebsten für Organisationen und Unternehmen, die einen positiven Einfluss auf Klimaschutz und Biodiversität haben – oder haben wollen.

Methodik für Workshops und Prozesse, in denen alle gehört
werden, ohne ständig allen zuhören zu müssen – das ist Kerstens Lieblings-Kurzdefinition von Facilitation.

A propos: Das frühere Leben als (Diplom-Online-)Journalist und die große Liebe zu Sprache und Sprachen führt Kersten seit Jahren auf die hoffentlich bald erfolgreiche Suche nach einem schöneren Wort für Facilitation. Bis dahin sagt der Pasta-Pragmatiker manchmal heimlich Fusilitation und freut sich, dass richtig gute Methodik in Workshops auch ohne große Worte fantastische Ergebnisse bringt.

Kersten lebt in Hamburg, ist aus nostalgischen Gründen auf seiner Darmstädter Festnetznummer erreichbar und fährt mit voller Bahnbegeisterung auch in weit entfernte Orte, um mit anderen quäntchen richtig gute Workshops zu veranstalten.

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